Persönliches Krisenmanagement

Es gibt verschiedene Formen von Krisen. Eines haben sie alle gemeinsam: sie fordern uns heraus und wir können sie nicht „einfach so“ ungeschehen machen. Was kann helfen, diese Zeit gut zu überstehen und womöglich auch noch daran zu wachsen?

Das Wort „Krise“ geht auf das altgriechische Verb „krinein“ zurück, welches „trennen“ und „unterscheiden“ bzw. „scheiden“ bedeutet. 
Und tatsächlich sind wir in Krisen damit konfrontiert, etwas verändern, etwas loslassen zu müssen, alte Muster zu durchbrechen, „Neuland“ zu betreten, uns auf Unbekanntes einzulassen.

Damit ist z. B. die aktuelle Corona-Pandemie sehr treffend als Krise bezeichnet, denn mit ihr trennen wir uns von unserem gewohnten Alltag – kaum jemand ist von den Maßnahmen nicht in seinen bisherigen Gewohnheiten tangiert. In diesen Tagen höre ich häufig den Ausspruch: „Es wird lange dauern, bis alles wieder normal sein wird.“
An ihm hinterfrage ich sowohl das „wieder“ als auch das „normal“.
Was ist „normal“? Ist damit der Zustand vor der Krise gemeint?
Und wäre es denn wünschenswert, diesen Zustand wieder herzustellen, als wäre nichts gewesen?
Würde denn das nicht bedeuten, dass wir nichts gelernt hätten? 

„Krise“, so definiert es die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb), „bezeichnet eine über einen gewissen (längeren) Zeitraum anhaltende massive Störung des gesellschaftlichen, politischen oder wirtschaftlichen Systems. Krisen bergen gleichzeitig auch die Chance zur (aktiv zu suchenden qualitativen) Verbesserung.“

Wenn man von einer Krise spricht, liegt also eine Störung, ein Konflikt vor. Und natürlich braucht das seinen Raum.
Als Mediator kenn man den Ausspruch: „Es gibt keine Veränderung ohne Konflikt!“ – aber gibt es Konflikte, die keine Veränderung nach sich ziehen?

Ich glaube, wenn man in einer Krise nicht steckenbleiben möchte, dann ist sie nur mit einer Veränderung zu bewältigen. Mir gefällt dabei besonders die Idee, die Krise als Chance zu nutzen und die aus ihr resultierende Veränderung so weit wie möglich zu steuern. Dabei kann helfen:

Schreiben:

Nicht alle Menschen sind versierte Schreiber, aber in Krisenzeiten lohnt es auf jeden Fall, es mal auszuprobieren – es muss ja kein Roman daraus entstehen. Aber in unserer ohnehin schon schnelllebigen Zeit legen gerade Krisenzeiten in der Dynamik noch „eins drauf“. Wer heute zurückschaut auf den Beginn des coronabedingten Lockdowns Mitte März 2020, wird sich kaum noch an die vielen Details der ersten Tage erinnern. Für die Steuerung der eigenen Schritte können persönliche Notizen sehr helfen und Orientierung geben.
Zudem kannst du besser verstehen, was eigentlich passiert, wenn du es mit eigenen Worten und Emotionen verfasst. Hierzu musst du das Ereignis nämlich strukturieren. Das wiederum hilft dir dabei, es einzuordnen, dir deinen persönlichen Reim darauf zu machen und deinen persönlichen Standpunkt zu finden. Die eigene Positionierung lässt Zusammenhang, Bedeutung und Sinn für das eigene Leben erkennen und gibt damit Orientierung. Und nicht zuletzt kannst du so – buchstäblich – an den Stellen, an denen du Einfluss nehmen kannst, auch das Heft in die Hand nehmen, also aktiv werden und handeln. 

(Wenn du Spaß am Schreiben hast, gefällt dir vielleicht mein „Green days Diary“ – im Downloadbereich kannst du es herunterladen!)

Abstand gewinnen

Wer sich emotional zu stark betroffen fühlt, ist in der Krise wie gelähmt und fühlt sich schnell ausgeliefert. Leicht neigt man zu ohnmächtigen Generalisierungen und zu überzogener Selbstbetroffenheit: „Immer passiert ausgerechnet mir sowas!“
Daraus können unpassende Schuldzuweisungen entstehen oder überhöhte Selbstansprüche: Schnell fühlst du dich als Opfer der Situation ausgeliefert und erwartest eine Auflösung durch andere – wobei du womöglich übersiehst, dass auch diese anderen auf ihre eigene Weise genauso betroffen und machtlos sind, wie du.
Oder du denkst, du musst alles für dich alleine regeln und selbst stark sein – mit dieser Sichtweise fühlst du dich einsam und allein auf dich gestellt.

Der effektivste Weg liegt meist dazwischen: versuche, dir bewusst zu werden, dass andere in der gleichen herausfordernden Situation sind wie du und frage sie um Unterstützung und Hilfe an. „Geteiltes Leid ist halbes Leid.“
Zu einer ausgewogenen Wahrnehmung kommst du, wenn du Abstand zur Krisensituation gewinnst. Versuche, möglichst sachlich und neutral auf die Situation zu schauen und deine negativen oder unsachlichen Gedanken, Generalisierungen und überhöhten Selbstansprüche zu entlarven. Setze eine sachliche Betrachtung und Einordnung dagegen.

Betrachte die Krise und deine Situation: Wenn du einen Fachartikel unter Einbeziehung aller Aspekte verfassen solltest – wie würdest du es ausdrücken? Wer ist in der gleichen oder einer ähnlichen Situation wie du? Wer empfindet die Situation ganz anders und warum? Welche Hilfe wirst du annehmen? Wem könntest du mit deinen Stärken helfen?

Sich der Krise stellen und Neugierde entwickeln

Krisen treten zuweilen sehr plötzlich und oft unerwartet ein. Häufig schleichen sie sich leise ein, um sich dann mit erschreckender Vehemenz zu zeigen oder zuzuspitzen. Aber leider sind sie nicht genauso plötzlich wieder beendet – man muss sich auf eine herausfordernde Bewältigungsphase einstellen.
Die Ungewissheit kann durchaus entmutigend sein und uns an die Grenze des Verzagens oder Verzweifelns bringen. Doch das Fokussieren auf die Nachteile, Verluste, Entbehrungen, Belastungen macht das Geschehene ja doch nicht rückgängig, sondern lässt viel mehr die ohnehin schon herausfordernde Situation nur noch düsterer und schwerer erscheinen. 
Neben allem Raum, den das eigene Erschrecken und die Krisenwürdigung brauchen, kann es helfen, sich Mut zuzusprechen, eine „positive Neugierde“ zu entwickeln und sich selbst herauszufordern: „Die Situation ist schwer und ich will das schaffen. Ich bin neugierig, wie ich das hinkriegen werde.“
(Sage dir bewusst „ich will das schaffen“, nicht etwa „ich muss…“ – dieser kleine Worttausch macht aus einem Getriebenen einen Macher. Der Unterschied ist immens!) Überfordere dich nicht und gehe kleine Schritte – räume dir bewusst viel Zeit ein und habe Geduld mit dir.

Was möchtest du schaffen? Selbst die kleinsten Schritte bringen dich in Bewegung auf dein Ziel hin. Wie sehen deine kleinen Schritte aus? Was motiviert dich, in Bewegung zu bleiben? Worauf kannst du stolz sein?

Perspektivwechsel

Schau dir die Situation genau an: Gibt es bei allem Negativen nicht auch eine „Kehrseite der Medaille“? Etwas positives? Was ist gerade gut, wo hilft die Krise, in welchem Bereich bringt sie gute Veränderungen mit sich oder hinterfragt lästige Angewohnheiten? Aus der Corona-Krise gibt es offensichtliche Vorteile: Die Luftverschmutzung ging in kürzester Zeit in den erdnahen Luftschichten um 40% und mehr und in den oberen Luftschichten sogar um bis 85% zurück. Von Satelliten aus konnte man Städte erkennen, die sonst in einer Smog-Wolke untergehen! viele Geschäftsleute haben erkannt, dass sich heutzutage Meetings auch über eine Vielzahl technischer Möglichkeiten abhalten lassen und womöglich viel weniger Geschäftsreisen nötig sind. Arbeitnehmer haben die Vorzüge des Homeoffice kennen gelernt. Es wäre schade, wenn wir solche Dinge (wie wir es leider immer wieder tun) in unserer Sorge und Not übersehen würden und die Chancen, die darin liegen, ungenutzt blieben. Die Krise ermöglicht uns, die Dinge „neu zu sortieren“ und auch Gutes in das Veränderungsszenario mit einzubauen.

Da sich Veränderungen häufig nicht so plötzlich ergeben, wie die Krise, ist es auch hier gut, wenn man auf Notizen zurückgreifen kann, um nichts zu vergessen: Was läuft gerade gut, wie könnte man positive Aspekte in eine Veränderung mit einbeziehen und sie danach gestalten?

Rückgriff auf eigene Stärken

Wenn es dir gelungen ist, einen sachlicheren Blick auf die Krise zu werfen und dich zu positionieren, wirst du merken, dass du dich nicht mehr so gelähmt und ohnmächtig fühlst. Das gibt dir Raum, dich deiner Stärken zu besinnen: Schau zurück auf dein bisheriges Leben: Wo gab es schon mal Krisen oder schwere, herausfordernde Zeiten und wie hast du sie überstanden? Wer oder was hat dir dabei geholfen? Welche deiner Stärken war unterstützend und wie kannst du deine gemachten Erfahrungen in der aktuellen Situation und Krise nutzen? Wer kann dich unterstützen?

Faktor Freude

Vor lauter Krise vernachlässigen wir oft Dinge wie Freude, Spaß und Genuss. „Man hat ja schon fast ein schlechtes Gewissen, wenn man das toll findet“, sagte eine Bekannte zu mir, die im Gegensatz zu den Belastungen der Eltern, die in den Medien immer wieder angesprochen und drastisch dargestellt wurden, die Zeit mit ihrer Familie ausgiebig genoss als eine geschenkte Familienqualitätszeit. Auch in vielen anderen Bereichen sind sich Menschen „näher“ gekommen oder haben Zeitfenster gewonnen, in denen sie ihren Hobbies intensiver oder sogar neuen Hobbies nachgehen konnten. Ich habe beim Gassigehen mit unserem Hund eine Frau getroffen, die eine sitzende Tätigkeit hat und es sich in der Zeit im Homeoffice zur Gewohnheit gemacht hat, jeden Morgen eine Runde spazieren zu gehen. „Das gebe ich nicht mehr auf, dass habe ich meinem Chef schon gesagt – das tut mir so unendlich gut.“

Was entdeckst du für dich in Krisenzeiten und wo kannst du es dir gut gehen lassen, dir was Gutes tun, dir uns anderen eine Freude machen? Worüber kannst du lachen, woran kannst du dich erfreuen, welche Möglichkeiten kannst du zu deinen Gunsten nutzen?

Heldenreise

Filme, Romane, Märchen – sie alle haben einen Spannungsbogen der meist durch typische Situationsabfolgen gekennzeichnet ist: Die Protagonistin bzw. der Protagonist stellt sich einer Herausforderung, deren Ausmaß und Ausgang unklar ist, muss mehrere Schwierigkeiten und Schwellen überwinden, erfährt bei der Bewältigung Rückschläge und Unterstützung aus sich selbst oder von anderen und geht schließlich als Held bzw. Heldin siegreich und verändert daraus hervor. An Krisen wachsen wir also zu Heldinnen und Helden. Ich finde, das sollte uns allen Mut machen.

So unterstützt dich proveniens in Krisen:

– Aufstellungsarbeit (Systembrett), z.B. zur Heldenreise oder zum Perspektivwechsel
– Kurzzeit-Coaching zur Aktivierung eigener Ressourcen
– Angebot „Redezeit für dich“